Bei den Autovermietungen am Flughafen Sarajevo herrscht Hochbetrieb. Eben ist eine Maschine aus Riad gelandet. Nicht alle Reisenden, die ein Auto wollen, haben im Voraus reserviert. Alle paar Minuten steckt ein Tourist den Kopf in eines der Containerbüros am Parkplatz, in denen die grossen Agenturen untergebracht sind, und fragt nach einem Wagen.
«Mafi sayaara, mafi!», antwortet ein Mitarbeiter in gebrochenem Arabisch und schüttelt bedauernd den Kopf. «Ich habe nichts mehr. Alles ausgebucht.» Er habe sich ein wenig Arabisch angeeignet, erzählt der junge Mann später. Die meisten Touristen kämen aus der Golfregion, vor allem in der Hochsaison. Und längst nicht alle sprächen Englisch.
Am Flughafen der bosnischen Hauptstadt sind nicht nur die Autovermietungen auf arabische Kundschaft eingestellt. Die grössten Werbebanner sind auf Arabisch beschriftet. Ein Unternehmen mit dem Namen Bosna u ocima Gulfa (Bosnien in den Augen des Golfs) bietet Touren an, aber auch Hilfe beim Automieten oder beim Häuserkauf. Eine andere Agentur wirbt auf Arabisch mit langjähriger Erfahrung auf dem Immobilienmarkt des Balkanlandes.
«Die muslimische Welt ist der grösste Markt für uns», sagt Damir Muminagic. «Vor allem der Golf.» Muminagic arbeitet bei der Tourismusbehörde von Sarajevo. Einige Tage pro Woche steht er am Informationsstand am Flughafen. Bosnien-Herzegowina kann als Reiseziel in der Region zwar nicht mit Kroatien und Montenegro mithalten. Dennoch ist der Fremdenverkehr ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für das relativ arme Land.
2019 erwirtschaftete der Sektor laut dem World Travel and Tourism Council 3,6 Milliarden Mark. Damals waren das 1,66 Milliarden Franken oder knapp 10 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Nach dem Einbruch der Corona-Jahre nähert man sich nun wieder dem Niveau von vor der Pandemie an. In der Hauptstadt Sarajevo könnte sich dieses Jahr sogar ein Besucherrekord einstellen.
Neben den Nachbarn Kroatien und Serbien, wohin es enge verwandtschaftliche Beziehungen gibt, sowie der Türkei mit ihrer grossen wirtschaftlichen Präsenz in Bosnien waren die Emirate und Saudiarabien 2022 die wichtigsten Herkunftsländer der Besucher. Mehr als 50 000 Gäste aus den beiden Golfstaaten haben das Land im vergangenen Jahr besucht.
Die Touristen vom Golf haben Bosnien bereits vor einem Jahrzehnt entdeckt, als im Zuge der Umstürze des Arabischen Frühlings traditionelle Reiseziele wie Tunesien oder Ägypten wegbrachen. Was anfangs nur ein Strohfeuer zu sein schien, hat sich zum wichtigsten Standbein des bosnischen Fremdenverkehrs entwickelt.
Das zeigt sich auch bei den Flugverbindungen. Mit Direktverbindungen nach Saudiarabien, Katar, Kuwait, Bahrain, Omar, Ägypten und in die Emirate ist der Flughafen von Sarajevo mittlerweile deutlich besser an den arabischen Raum angebunden als an Westeuropa. Aus Dubai, Riad oder Kuwait-Stadt landen sogar mehrmals täglich Maschinen in der bosnischen Hauptstadt.
Besonders auf den saudischen Markt setzt man in Bosnien-Herzegowina grosse Hoffnungen. Für die diesjährige Sommersaison hat die Regierung in Sarajevo versuchsweise die Visumspflicht für saudische Bürger ausgesetzt. Die Initiative hat Erfolg.
«Nirgends in Europa ist es für uns so einfach, zu reisen, wie in Bosnien», sagt Ibrahim al-Tarahi, der mit einem Freund in Jeans und T-Shirt durch die Bascarsija, das historische Zentrum von Sarajevo, schlendert. Die beiden Männer, die in Riad für eine Bank arbeiten, gehören der Mittelklasse an. Superreiche Saudi haben keine Visaprobleme und reisen lieber nach Südfrankreich oder in die Schweiz. Mit einem Budget von 100 bis 150 Franken pro Tag ist Bosnien aber eine attraktive Destination.
«Uns gefällt es gut hier. Dass es fast gleich heiss ist wie zu Hause, hätte ich aber nicht erwartet», sagt Tarahi scherzend. Tatsächlich hat der Balkan diesen Sommer mehrere Hitzewellen erlebt. Die Backofentemperaturen der saudischen Hauptstadt bleiben aber freilich unerreicht.
Der Verweis auf die Hitze kommt nicht von ungefähr. «Die meisten Gäste aus dem Golf sind weniger an Geschichte und Architektur in Bosnien interessiert. Sie wollen bei angenehmen Temperaturen Zeit im Grünen verbringen», sagt Muminagic von der Tourismusbehörde, der nebenher auch als Reiseführer arbeitet. Die bewaldeten Berge und kühlen Flusstäler im lieblichen Umland von Sarajevo seien dafür ideal.
Und natürlich sei Bosnien attraktiv, weil es eine kulturelle Sensibilität für die Bedürfnisse arabischer Touristen gebe. Im multiethnischen Staat stellen die muslimischen Bosniaken vor den orthodoxen Serben und den katholischen Kroaten die grösste Bevölkerungsgruppe. «Lokales Essen zu finden, das den muslimischen Speisevorschriften entspricht, ist kein Problem. Bei uns sind viele traditionelle Restaurants halal», sagt Muminagic. «Auch Gebetsräume gibt es überall. Trotzdem ist man mitten in Europa, mit allem, was dazugehört.»
All dies verdichtet sich in Ilidza, einem Vorort Sarajevos, der sich zu einem regelrechten Hotspot des arabischen Tourismus entwickelt hat. Die grösste Attraktion ist die Auenlandschaft an der Quelle des Flusses Bosna. Die klaren Bäche und üppigen Wiesen bieten einen maximalen Kontrast zum Sommer auf der Arabischen Halbinsel. Familien verbringen hier oft den ganzen Tag. Man picknickt, spaziert, die Kinder spielen mit dem Ball. Manchmal sind auch Kindermädchen mit dabei, die, wie meistens am Golf, aus Südasien stammen.
Seinen Namen hat Ilidza wegen der vielen Heilquellen vom türkischen Wort für Arznei, «ilac». Später, in kaiserlich-königlicher Zeit, entstanden hier im 19. und frühen 20. Jahrhundert mondäne Kurhotels mit Namen wie Krone oder Austria. Die Häuser stehen noch immer, und wie ehedem bringen Fiaker die Touristen zur Bosna-Quelle.
Dennoch hat man sich angepasst. An der Reception des Hotels Krone hängt ein Halal-Zertifikat. Dieses bescheinigt, dass der Hotelbetrieb auf die Bedürfnisse gläubiger Muslime Rücksicht nimmt. Alkohol wird nicht ausgeschenkt, in den Zimmern weist ein Pfeil die Richtung nach Mekka.
In jugoslawischer Zeit war die Bevölkerung von Ilidza mehrheitlich serbisch. Der Grossteil ist im Krieg geflohen, in serbisch kontrollierte Gebiete oder ins Ausland. Nur sehr wenige kamen zurück.
Zu diesen Spuren von Bosniens wechselvoller Geschichte kommt nun die sichtbare arabische Präsenz hinzu, die heute aus Ilidza nicht mehr wegzudenken ist. Wie am Flughafen sind viele Werbetafeln arabisch beschriftet. Neben westlich gekleideten Passanten trifft man auf Grossfamilien mit voll verschleierten Frauen.
Trotz ihrer wirtschaftlichen Bedeutung lösen die Gäste vom Golf mit ihrem meist konservativ-islamischen Auftreten in Bosnien auch Unbehagen aus. Viele liberale Bosniaken stossen sich ohnehin daran, dass im ethnisierten Politikalltag des Landes identitätspolitische Aspekte wie die Religion überbetont werden.
Dass nun eine Form des Islam an Sichtbarkeit gewinnt, die mit der liberalen, toleranten Tradition der Muslime Südosteuropas wenig gemein hat, stört sie umso mehr. Schliesslich ist man ein Teil Europas und will auch so wahrgenommen werden. Ähnliche Debatten kennt man aus der Türkei, wo säkulare Kreise sich regelmässig über die starke arabische Präsenz im Land beklagen.
Der Reiseleiter Muminagic drückt es so aus. «Mir ist es wichtig, unseren westlichen Gästen zu erklären, dass wir zwar Moscheen und Minarette haben, voll verschleierte Frauen in unseren Städten aber genauso fremd sind wie anderswo in Europa. Wir sind Europäer.» Persönlich sei er sowieso lieber in den moderneren Stadtteilen von Sarajevo unterwegs, wo man in den Bars ein Bier bekomme. In der Bascarsija sei das ja kaum mehr möglich.
Besonders kontrovers ist das Immobiliengeschäft mit den arabischen Gästen. Vielen gefällt es in Bosnien nämlich so gut, dass sie sich Wohnungen oder gleich ein ganzes Haus kaufen. Im Umland von Sarajevo entstehen zahlreiche Siedlungen, die ganz auf die arabische Klientel ausgerichtet sind.
Eigentlich ist Ausländern der Landerwerb in Bosnien nicht gestattet. Mit Firmengründungen oder bosnischen Partnern lässt sich das Verbot aber umgehen. Spezialisierte Agenturen sind dabei behilflich.
Esad Durakovic kritisiert diese Praxis seit Jahren. «Es gibt viele, die uns Bosniaken als radikale Muslime stigmatisieren und uns die europäische Identität absprechen wollen», sagt der emeritierte Arabist von der Universität Sarajevo. Die starke arabische Präsenz und vor allem der Verkauf von Bauland leiste solchen Vorurteilen Vorschub, besonders wenn dieser zu einer Veränderung der Bevölkerungsstruktur führe. Ausserdem seien Landfragen in Bosnien wegen der jüngeren Geschichte grundsätzlich sehr heikel.
Ajdin Krsic hält diese Bedenken für übertrieben. Der junge Unternehmer bietet mit seiner Firma Halal-Touren in Bosnien und anderen Staaten Osteuropas an. Er hat Kunden vom Golf, aber auch aus Malaysia, Singapur und Indonesien.
«Menschen, die sich an Fremden stören, gibt es überall. Unsere Erfahrung ist aber überwiegend positiv», sagt Krsic. Er sei neulich mit einer saudischen Gruppe in die Berge nach Jahorina gereist. Die Austragungsstätte der alpinen Wettkämpfe bei den Winterspielen von 1984 liegt in der Republika Srpska, dem mehrheitlich serbisch besiedelten Landesteil Bosniens. Auch dort gebe es viele Restaurants, die sich gerne auf muslimische Reisegruppen einstellten. Geschäft sei schliesslich Geschäft.
«Wir haben als kleine Agentur angefangen und organisieren jetzt mehr als hundert Rundreisen im Jahr», sagt Krsic. «Bosnien ist ein attraktives Land. Das ist doch eine grossartige Erfolgsgeschichte.»
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