TESSIN-URLAUB MIT KINDERN

Seit vier Jahrzehnten macht unsere Autorin Urlaub im Tessin. Wo sie früher mit ihren Eltern im Sand am See buddelte, spielen heute ihre eigenen Kinder. Dieser Text ist eine Liebeserklärung an den sonnigsten Kanton der Schweiz: Denn an kaum einem anderen Ort in Europa können gerade Familien so vielfältige, aktive Ferien verbringen wie hier – und gleichzeitig so gut runterkommen. 

Ich stehe auf einer Art Podest, die Aussicht ist atemberaubend. Genießen kann ich sie nicht. Denn in wenigen Sekunden werden meine Hände den Metallbügel greifen, der an dem Stahlseil über mir hängt und mit bis zu 60 km/h fast einen halben Kilometer den Hang hinunterrasen. Dass ich gestern noch aufgeregt war, als ich nach Jahrzehnten erstmals wieder vom Dreier in den See hüpfte, erscheint mir jetzt absurd. Denn die Zipline hier ist mit bis zu 41 Metern Höhe auf der Strecke 13-mal so hoch wie das kleine Türmchen, das ich mir jetzt heimlich herbeisehne. "Bereit?" fragt der schöne Schweizer an meiner Seite und meint das wohl eher rhetorisch. Denn noch während ich zögernd zu nicken beginne, wünscht er mir viel Spaß, gibt mir einen kleinen Stubs – dann fliege ich. Und liebe es, wider Erwarten: meine Haare flattern im warmen Wind, in meinem Bauch tummelt sich eine Schmetterlingsarmee, die Berglanschaft saust unscharf an mir vorbei und ich kreische, vielleicht etwas zu laut für mein Alter.

Unten befreie ich mich mit noch immer zitternden Knien von dem Sicherheitsgurt, während meine Zwillinge Elli und Theo auf mich zurennen. "War doch gar nicht so schlimm, oder Mama?", fragen die beiden, die sich zuerst getraut haben, ohne mit der Wimper zu zucken – und damit dafür sorgten, dass kneifen für mich keine Option war. "Nein", gebe ich zu und wundere mich ein bisschen über mich selbst. Ich bin weder überdurchschnittlich mutig noch stehe ich auf Adrenalin-Kicks à la Bungee-Jumping oder Fallschirmspringen. Dass ich diese "kleine" Mutprobe gerade tatsächlich mitgemacht habe: Das muss an diesem Ort liegen.

Ticino-Liebe in der dritten Generation 

Wir sind auf dem Monte Tamaro, und der liegt im Tessin. Wenn ich diese sechs Buchstaben nur höre, dann macht sich in mir ein Urlaubsgefühl breit. Ich denke an Berge, Bäche und Badeseen, an all die perfekten Plansch-Locations, Palmen und Panoramen, die man schöner nicht malen könnte. Ich denke an weißes Schokoladeneis mit festem Kern, den Zeltplatz direkt am See und daran, dass sich das Leben hier auch als Kind schon immer etwas leichter und freier anfühlte als zu Hause.

Die Liebe zum südlichsten Kanton der Schweiz wurde mir quasi in die Wiege gelegt. Schon meine Oma Elfi und mein Opa Karl kamen jedes Jahr hierher, träumten von einer eigenen Ferienimmobilie. Nach dem Tod meines Opas kaufte mein Vater einen Haufen alte Steine im Centovalli-Tal, baute mit Freunden und Mini-Budget ein kleines Haus aus den alten Mauern, verwirklichte damit den Traum seines Vaters. Als ich zwei Monate alt war, wurden meine Füße erstmals in den Lago Maggiore getaucht. In den kommenden Jahren waren wir mindestens einmal, manchmal zwei Mal hier – drei Jahrzehnte später heiratete ich am Lago sogar den Vater meiner Kinder. Kurzum: Das Tessin ist mein Herzensort, mein Happy Place, mein zweites Zuhause. Nirgends fühle ich mich wohler.

Drei gute Gründe für Ferien im Tessin 

Wenn mich Freunde fragen, woran das liegt, weiß ich kaum, wo ich anfangen und wie ich jemals zum Ende kommen soll. Müsste ich mich auf nur drei Gründe festlegen, dann sind es vermutlich diese:

1."Wenn ich den See seh, brauch ich kein Meer mehr", das sang Michael Frowin über den Bodensee – das denke ich, wenn ich mit einem Kaffee am Lago Maggiore sitze und meinen Kindern dabei zuschaue, wie sie im Sand buddeln oder im flachen Wasser planschen. Die Aussicht ist mit dem Berg-Panorama im Hintergrund deutlich spannender als ein schnöder Strich am Horizont, außerdem gibt's weder hohe Wellen noch Quallen oder sonstige Lebewesen, die irgendwie giftig oder gefährlich werden könnten. Wer Abwechslung will, geht am nächsten Tag entweder zu einer der anderen wunderschönen Badestelle am See – oder in einem der tollen Täler im Fluss oder Becken unterm Wasserfallbaden. Paradiesischer als letzteres geht's kaum. Ich liebe es, den Kindern all diese geheimen Stellen zu zeigen, die man selbst in der Hochsaison teils exklusiv für sich hat, wenn man nur ein paar Minuten durch den Wald läuft.

2. Das Klima ist der Knaller und optimal auch für kleine Kids: Die malerischen Orte Locarno (u.a. bekannt durch das Filmfestival) und Lugano sind die wärmsten Städte der Schweiz. 2300 Sonnenstunden hat das Tessin pro Jahr zu bieten, unangenehm heiß wird's aber selten. Wenn's regnet, dann oft in Form von Gewittern, die sich so schnell verziehen, wie sie kamen. Der Winter ist mild, die Durchschnittstemperaturen erreichen nicht den Gefrierpunkt. Diese Mischung macht den Kanton mediterraner als alle anderen: Rund um die Seen wachsen Palmen, Zitrusfrüchte, Wein, Kamelien. Und das sieht ganz nebenbei auch einfach wunderwunderschön aus.

3. Es wird nie langweilig. Zurück zum Monte Tamaro. Es ist mein schätzungsweise 50. Urlaub im Tessin – und trotzdem ist die Woche hier voller Premieren. Neben der Zipline testen wir auch erstmals die Sommerrodelbahn (besser als jede Achterbahn) am Monte Tamaro, erkunden den hier ebenfalls (traumhaft!) angelegten Kletterwald, entdecken durch Zufall das kleine Dörfchen Morcote am Luganer See. Wer hier zur Pfarrkirche S. Maria del Sasso am Hang und noch ein paar Höhenmeter weiter hinaufsteigt, gelangt zu einer Schaukel mit Panorama-Blick. "Boah Mama, ich hab' Gänsehaut, weil's so schön ist", sagt Elli, während sie in der Abendsonne über dem Kirchturm schwingt. Ja, denke ich laut und realisiere: Die Ticino-Liebe lebt weiter. Und ist spätestens in diesem Moment in Generation Nummer vier angekommen.

Tessin mit Kindern: Unterkunfts-Tipp

Weil Opas kleines Rustico ab und zu vermietet ist, haben wir vom Campingplatz, Appartment und Hotel im Tessin schon alles probiert. Dieses Mal waren wir im Reka Feriendorf Lugano-Albonago – und das vereint so ziemlich alle positiven Seiten diverser Unterkünfte: Man bekommt Frühstück wie im Hotel, hat in den superschön eingerichteten Wohnungen Privatsphäre wie in einem Ferienhaus – und die Kids können sich auf dem Gelände frei bewegen wie auf einem Campingplatz. Zusätzlich gibt’s einen Kidsclub, einen Infinitypool, einen Spielplatz, Grillplatz, Sauna, Fitnesspfad ... Ab 150 Euro. Mehr Infos unter: reka.ch

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Tessin mit Kindern im Frühling

Im Frühjahr blüht hier einfach alles so schön, dass man kaum aufhören kann zu fotografieren. Für kleine und große Pflanzenfans lohnt sich ein Besuch auf den Brissago-Inseln (von Ascona mit dem Schiff in 20 Minuten zu erreichen), die viele als den schönsten Ort des Tessins bezeichnen. Sie beherbergen einen Botanischen Garten (Eintritt: 8 CHF) mit subtropischen Arten aus aller Welt. Für Kids gibt's eine Schatzsuche, bei der Baronin Antoinette ihre Lieblingsblumen wiederfinden will.

Ansonsten: Schaut euch die schöne Schweiz im Swissminiatur-Park in Melide in der XS-Version an (eine Familien-Tageskarte kostet 54 CHF). Und fahrt zum Foroglio-Wasserfall ins Val Bavona – hier gibt's einen weiteren grandiosen Schaukel-Spot. Und: niemand, wirklich niemand sollte nach Hause fahren, ohne an der Promenade von Ascona und auf der Piazza Grande von Locarno ein Fior-di-latte-Eis gegessen zu haben ...

Tessin mit Kindern im Sommer

Bei schönem Wetter habt ihr die Qual der Wahl in Sachen Badestellen, denn davon gibt es Hunderte. Mein liebstes Strandbad ist (damals wie heute) das "Lido Brissago" (Eintritt: 16 CHF pro Familie) mit seiner 75 Meter langen Wasserrutsche. Die Lidos in Ascona, Locarno und Lugano sind ebenfalls super. Es gibt aber auch diverse öffentliche Badestellen ("Bagno Publico") für alle, die sich das Eintrittsgeld sparen (und nicht neben dem See noch ein Schwimmbecken) wollen. Tatsächlich ist es eine gute Idee, ein bisschen auf's Geld zu schauen, denn Einkaufen, Essen gehen etc. ist leider deutlich teurer als bei uns.

Mindestens genauso lohnenswert und an sehr warmen Sommertagen noch erfrischender ist es, im Maggiatal (z. B. bei Avegno) oder im Verzascatal (absolutes Must-see, weil das Wasser nirgends so türkis ist wie hier: Lavertezzo) in den Fluss zu springen. Für alle, die Action lieben und Kids haben, die schon gut schwimmen können: Probiert Canyoning!

Tessin mit Kindern im Herbst

In den Herbst-Monaten kann das Tessin (fast) mit dem Indian Summer in Kanada mithalten. Die Bäume strahlen in tausend Tönen zwischen gelb und rot um die Wette, die Luft riecht zum Reinbeißen gut – und wer jetzt nicht gerne wandert, ist selbst Schuld. Es gibt viele Strecken, die auch für Kinder geeignet sind: Ich habe als Grundschülerin den Trimm-dich-Pfad und Riesen-Spielplatz am Monte Verità bei Ascona geliebt, noch spektakulärer ist z. B. die Tour zum Gipfelkreuz des Monte Gambarogno (1728 Meter) oder die Fahrt mit der Standseilbahn auf den Monte Brè. Besonders schön: am späten Nachmittag hoch, Sonnenuntergang gucken, in der Abenddämmerung zurück.

Auch toll: die Burgen von Bellinzona, die aussehen wie in den Bilderbüchern unserer Kids. Und: Fahrt mit der berühmten blauen Bahn ins Centovalli ("100 Täler")! In Intragna könnt ihr zuschauen, wie sich Bungee-Fans von der Eisenbahnbrücke stürzen. Einkehr-Tipp: Grotto America bei Ponte Brolla.

Tessin mt Kindern im Winter

Am Hausberg von Locarno fuhren wir im Winter Ski – mit einem grandiosen Blick auf den Lago Maggiore. Aufgrund des Schneemangels ist das hier inzwischen leider inzwischen nicht mehr möglich. Ein Ausflug nach Cardada Cimetta lohnt sich dennoch: Von Locarno geht's erst mit der Funicolare nach Orselina, wo auch die gelbe Wallfahrtskirche Madonna del Sasso (eine der hübschesten Kirchen, die ich je gesehen habe) liegt. Von hier führt eine Gondel nach zur Zwischenstation, dort geht's mit dem Sessellift weiter auf den Gipfel. Wer auf den Wintersport nicht verzichten mag: Das größte Skigebiet im Tessin ist Pesciüm-Airolo. Von den 30 Pistenkilometern ist ein Drittel auch für kleine Kinder gut geeignet.

Wellness-Tipp für alle, die es lieber gemütlich angehen lassen: Das Termali Salini & Spa Locarno mit Natursolebad und riesiger Saunalandschaft. Highlight: nach dem Aufguss im Lago Maggiore (der direkt vor der Tür liegt) abtauchen!

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