WAR DENN FRüHER ALLES BESSER? ÜBER NOSTALGIE IM INTERIOR

Go viral or go home

Diese Folge der Kolumne „Go viral or go home“ beschäftigt sich mit der Nostalgie im Interior.

Man könnte meinen, dass dieser Tage eine leichte, nostalgische Note in der Luft liegt. Auch mich hat sie erfasst, sie erschien ganz leise, quasi schleichend, ich spürte sie, als ich mich durch Monographien längst verstorbener Gestalter und fast vergessener Malerinnen blätterte und als ich sehnsüchtig Fotos alter Interieurs betrachtete, die mir plötzlich so viel authentischer erschienen als das meiste, was ich in letzter Zeit gesehen habe. Für die Recherche eines Artikels zur Frage, wie Familie unseren Stil beeinflusst, klickte ich mich durch alte Möbelreklamen aus den Siebzigern und Achtzigern im digitalen Archiv der New York Times. Und auf Instagram habe ich mich in letzter Zeit öfters dabei erwischt, mich auf Accounts wie „Collector Walls“ oder „Fantomes Esthetiques“ zu verlieren. Ihre Inhalte zeigen teils jahrzehntealte Interieurs, die irgendwann einmal in Magazinen wie World of Interiors, AD, Tatler oder House and Garden erschienen sind und nun, frisch eingescannt, fernab einer Magazinseite noch einmal im Internet verewigt werden. Plötzlich interessiere ich mich deutlicher für Decorator wie Elsie de Wolfe, Albert Hadley oder Jean-Michel Frank und für klassische Interiors, in denen wie zufällig ein Twombly überm Kamin hängt, ein Giacometti auf der Mahagoni-Konsole steht und im Wohnzimmer ein Rothko die chaotischen Bücherstapel überblickt; das schreit zwar alles nach old money, aber auch nach großartigen Geschichten, die es zu ergründen gilt.

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Nostalgie als Bewältigungsstrategie

„In chaotisch und unsicher empfundenen Zeiten kann Nostalgie eine Bewältigungsstrategie sein, durch die man die zerbrochen gegangene Kontinuität wiederherstellen möchte“, heißt es in einem lesenswerten Beitrag von ARD Alpha, der sich der Ergründung des Phänomens widmet. Das erscheint dieser Tage mehr als logisch. Weiter wird dort geschrieben: „Medien spielen im Kontext von Nostalgie eine entscheidende Rolle. Sie übermitteln Erinnerungen an die Vergangenheit in Form von alten Filmen, Songs, Bildern oder Büchern, die einige von uns nostalgisch werden lassen.“ Sehe ich auf Instagram also vermehrt Bilder einer bestimmten Stilepoche, so kann mich mein medialer Konsum durchaus nostalgisch stimmen – selbst, wenn ich diese Zeit nie erlebt habe und eigentlich weiß, dass es früher nicht wirklich besser war (man denke bloß an die nicht existente Gleichstellung der Frau, Diskriminierung von Minderheiten oder Rassismus). Trotzdem sagt man, dass Nostalgie positive Gefühle auslösen kann – obwohl (oder weil) sie für einen kurzen Moment eine gedankliche Fluchtmöglichkeit vor der Beschäftigung mit den komplexen Krisen der Gegenwart darbietet.

Nun greift Nostalgie natürlich für alle Disziplinen, Kunst, Musik, Film, Mode, das Leben im Allgemeinen. Aber in dieser Kolumne geht es um Möbel und Trends. Wirft man einen Blick auf das derzeitige Angebot der Möbelhersteller, so erkennt man durchaus eine Neigung dazu, alte Stücke aus dem Archiv zu holen und neu aufzulegen. Hay brachte vor einigen Jahren Bruno Reys beliebten Esszimmerstuhl zurück, Ikea lanciert dieses Jahr allerlei Archiv-Stücke und Wittmann wird zum Salone del Mobile 2024 eine Neuauflage des „Atrium“-Sofas aus den Siebzigern präsentieren. Das passt gestalterisch zu Entwürfen seiner Zeit, zum „Camaleonda“, dem „Togo“, dem „Soriana“. Man sieht diese Sofas wieder so oft, dass man ihnen bald eine Pause gönnen möchte.

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Wird Nostalgie kommerzialisiert?

Ist das nun Nostalgie oder lediglich der Zirkel der Dinge, der besagt, dass eben alles irgendwann wieder kommt? „Mich interessiert, wie sich der Trend zur Nostalgie auf den Markt auswirken wird“, schrieb mir die Designerin und Stylistin Rebecca Goddard kürzlich. „Wird es eine Massenanpassung geben, die eine Menge von Copy-Paste-Interieurs hervorbringt, wie wir es bereits beim Scandi-Minimalismus gesehen haben? Werden Marken wie H&M Home eine Kollektion an bereits eingesessenen Polsterhockern, vergoldeten Leuchten mit künstlicher Patina und Coffee-Table-Books mit zerknitterten Buchumschlägen herausbringen?“

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Kurzum: Wird Nostalgie kommerzialisiert? Möglich wäre es. Auf Instagram sah ich ein Video von Marco Zamora, dem über eine Million Menschen folgen. Er hat einen wirklich unterhaltsamen Account und ich meine, auch in seinem Interieur mehr als einen Hauch Nostalgie zu entdecken. Auf der Suche nach einem bestimmten Look steckte er einen schmalen Fransenrock an sein Sofa. Die Idee ist gut, die Umsetzung auch. Ausgiebig lobte Zamora, wie wenig ihn das Makeover gekostet habe und verweist dabei auf Amazon. Neue Patina ist ein Oxymoron, das kommerziell schon funktioniert. Bei bestimmten Metallen oder Steinen ist es gar nicht unüblich, dass sie bereits patiniert auf den Markt gebracht werden. Im Internet findet man sogar Patina-Tapeten (was in etwa so cool ist wie eine Tapete im Backstein-Look). Kurzum: Es gibt für wirklich alles einen Markt. Die bessere Lösung lautet, wie so oft, Vintage zu kaufen, das ist nachhaltiger, langlebiger und, von Amazon-Preisen einmal abgesehen, meist auch kostengünstiger. Und auch authentischer?

Auf der Suche nach Authentizität darf man bisweilen nostalgisch werden. Vielleicht ist es gar nicht verkehrt, gelegentlich ein bisschen in vergangene Zeiten abzutauchen und zurückzublicken, solange man es bloß schafft, den Blick irgendwann auch wieder nach vorne zu richten.

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