WOHNMOBIL-TOUR NACH SüDFRANKREICH: ICH SPüRTE, DASS DIE ZEIT FüR DIESEN ORT ABGELAUFEN WAR

Unsere Wohnmobiltour nach Südfrankreich brachte mich zum Nachdenken: Würde ich für immer reisen wollen? Über den Reiz der Endlichkeit und das Vergnügen des Mittagsweißweins.

Unsere Ostertour begann dieses Jahr mit zwei Verkehrsschildern voller Poesie. Wobei der Reiz darin lag, dass sie an einem Ort zusammentrafen, genauer gesagt: Sie hingen übereinander an einer Weggabelung und bescherten mir zu später Stunde einen verkehrsphilosophischen Moment.

Die Entscheidung, vor der wir mit unserem Wohnmobil standen, lautete: rechts oder links? »Freibad« oder »Friedhof«? Selten steckt in Verkehrsschildern so viel Tiefe.

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Nun mag ich diese Schlafplätze an Bädern eigentlich nicht, obwohl Touren mit dem Wohnmobil häufig genau dorthin führen: Der typische Stellplatz in Deutschland liegt an einem Hallen- oder Freibad, nicht schön, aber praktisch, wenn man vom Steuer ins Bett fallen will, der ideale Zwischenstopp auf einer langen Reise.

Der Platz, der uns dieses Mal erwartete, war von besonderer Trostlosigkeit, kaum befestigt und kaum besucht, natürlich nicht bei Nieselregen im Frühjahr. Trotzdem störten mich weder das kahle Geäst noch die einsamen Stromsäulen. Denn die beiden Schilder erinnerten mich an die Endlichkeit aller Reisen und an unser Glück: Wir hatten – hoffentlich – noch viele Abzweigungen vor uns, bevor wir endgültig nach links abbiegen mussten. Wir wollten in die Wärme, immer geradeaus, bis runter ans Mittelmeer.

Mit diesem Wunsch waren wir nicht allein, wie wir an unserem ersten Morgen an der Küste feststellten. All die Münchner, Frankfurter, Karlsruher wollten es spüren nach den kalten, dunklen Monaten, dieses südfranzösische Lebensgefühl. Weshalb deutsche Camperinnen, nachdem sie ein Baguette gekauft hatten, zu ihrem wartenden Hund sagten: »Siehste, hat gar nicht lang gedauert!« und dann unvermittelt ins Französische wechselten: »Allez!« Oder ihrem lichtüberströmten Stellplatznachbarn zuriefen: »Ui, kurze Hosen!«

An jenem Morgen holten die Menschen ihr Bettzeug aus dem Fahrzeug und legten die Decken zum Lüften über die Hecken, um die Feuchte zu vertreiben. Und während ich zwischen Pinien und Dachzelten lustwandelte, wich das Klamme in meinem Innern, als hätten man auch meine Seele zum Lüften rausgehängt.

Das erste Mal in diesem Jahr im Freien spülen in der Morgensonne, und abends die Zypressen sehen, die wie Dolche in den Sternenhimmel piksen, und inmitten dieses Sinnens über die Schönheit des Daseins bricht die Tür auf und mein Mann ruft: »Tüte mit Loch!« und hält die aufgeschnittene Mozzarella-Packung in der einen Hand und den tropfenden Müllbeutel in der anderen. Die Würze des Nomadenlebens: Salzlake, die in die Ritzen des Wohnmobils läuft.

Ich musste an die Zeilen eines Lesers denken, der mir schrieb: »Immer wenn ich mein Leben als Ganzes hinterfrage, träume ich davon, in einem Wohnmobil dauerhaft zu leben, obwohl ich davon so wenig Ahnung habe.« Der Gedanke sollte mich bis zum Ende der Tour begleiten: Würde ich wollen, dass das immer so weitergeht? Oder zumindest so lange, wie ein gefühltes Immer dauert?

Drei Tage hintereinander waren wir meerwärts gestrebt, hinunter den Berg bis zur Uferpromenade, und dreimal waren wir in demselben Hafenlokal gelandet und hatten den Urlaub mit einer Flasche Mittagsweißwein gefeiert, einer kleinen. Und ich muss sagen, das war mir gut bekommen.

Zwar war ich die einzige, die sich mit der Speisekarte vergnügte. Unsere Tochter nahm ohnehin Chicken-Nuggets, und mein Mann sprach mal von einer Tour der Entsagung, mal von einer Weißwein-Diät. Statt Kaffee trank er neuerdings frisch gebrühten Kamillentee, den er morgens mit Eifer in seine Thermoskanne abfüllte. Und auch mittags spürte er, so sagte er, kaum Appetit. Mir ging dieses Verhalten, selbst futternd, auf die Nerven, empfand ich es doch als urlaubsfeindlich. Immerhin wollte er keine Kamillenschorle, und so waren wir am Tisch immer zu viert: wir drei und der silbern glänzende Flaschenkühler.

Sechs Nächte blieben wir auf diesem Campingplatz oberhalb der Bucht, spielten Ball mit einer Rasselbande aus der Nachbarschaft oder Verstecken zwischen Hecken. Schon am ersten Vormittag hatten wir drei Schwestern kennengelernt, die ihre Kreidemalerei vor dem Wohnmobil unterbrachen, um auf ein »Piep!« zu warten und auf die vergnügte Stimme unserer Tochter, die im Gebüsch hockend rief: »Hier bin ich!«

Hatten andere Camperfamilien am Strand wiedergetroffen, mit denen unsere Tochter Restaurant spielte – ohne Mittagsweißwein – und gemeinsam gelacht, als ein Vater mit Wasserperlen auf der Gänsehaut aus dem noch kalten Mittelmeer kam und die andere Mini-Camperin unsere Mini-Camperin fragte: »Willst du meinen Papa mal anfassen?«

Irgendwann aber waren die anderen Familien fort, nur die Regenbogenfarben auf dem Asphalt waren von den drei Schwestern zurückgeblieben, Spuren eines schönen Vormittags, und als auch die Rasselbande Kind für Kind aufbrach, war unsere Tochter mit Downsyndrom des Abschieds müde. »Hause!«, mauzte sie. »Missen, Hause! Missen Omi!«

Damit sie wirklich verstand, dass die anderen Kinder nicht mehr da waren, gingen wir gemeinsam zu deren alten Stellplatz und ich zeigte ihr, dass dort keine Hängematte mehr hing, dass neue Camper vor ihrem Fahrzeug saßen. »Sag doch mal Hallo!«, sagte ich zu unserer Tochter, doch sie, die sonst jeden grüßt, schüttelte nur den Kopf. Sie hatte keine Lust mehr auf neue Menschen.

Es ist anstrengend, sich das Fremde vertraut zu machen. Nicht nur für sie. Natürlich, es gibt diese Ehepaare, die ihre Wohnungen oder Häuser verkaufen und nur noch im Wohnmobil leben, in Spanien überwintern, gern auf demselben Campingplatz, monatelang, wo sie alles kennen, ihre Bodega und ihren Friseur und ihre Stellplatznachbarn. Aber letztlich haben sie das eine Zuhause gegen das andere getauscht.

Doch wie wäre es, ein halbes Jahr oder ein ganzes Jahr auf große Fahrt zu gehen? Immer weiterziehen, getrieben von nichts weiter als der Neugier, wie es wohl aussieht hinter der nächsten Kurve? Lust hätte ich.

Es ist die Sehnsucht nach Bildern, die mich auf die Straße treibt. Selten fühle ich mich so lebendig wie auf Reisen. Die Windungen der Ardèche sehen, jadegrün und schimmernd, in schwindelerregender Höhe auf der Panoramastraße. Im Blau versinken am Rande der Klippe. Das waren die Bilder dieser Monstertour. Es sind Bilder, die so mächtig sind, dass sie mich ausfüllen. Doch ich habe nicht nur Sehnsucht nach den Bildern selbst, sondern auch nach diesem Zustand des Überwältigtseins, in dem kein Platz mehr ist für die Sorgen des Alltags.

Aber ich weiß eben auch, dass die Besonderheit erst durch die Endlichkeit entsteht. Und wie lange würde der Spaß an der Improvisation anhalten, wenn das Improvisierte das Normale wäre? Wann ist es nicht mehr lustig, einen vollen Geschirrkorb am Fußende des Bettes mit einem Stillkissen abzupolstern während der Fahrt? Wann kann man sich nicht mehr freuen, dass die Lieblingstasse den Sturz auf den Boden unbeschadet übersteht, weil die Schmutzwäsche sie weich umfing?

Natürlich würde man auch auf großer Tour Wasch- und Versorgungstage einführen, eine Infrastruktur des Alltags. Aber dann wäre er eben plötzlich auch im Wohnmobil: der Alltag.

An jenem Morgen, als unsere Tochter mit gesenktem Kopf vor den neuen Campern stand, spürte auch ich, dass die Zeit für diesen Ort abgelaufen war. So geht es mir oft auf längeren Touren; jeder Ort hat seine Zeit. Und mit dem nahenden Abschied kam die Lust, meine Tipps weiterzugeben an das nette Camperpärchen, das sich auf dem alten Hängemattenplatz eingerichtet hatte: Diese Straße müsst ihr fahren! Dort ist der Laden mit den Meeresfrüchten und der leckeren Lasagne!

Vermutlich war es der Spaß daran, sich auszukennen, sich zugehörig zu fühlen, vielleicht wollte ich auch meine Schätze zeigen, so wie unsere Tochter gern ihre Kunststücke im Wohnmobil zeigt: mit beiden Füßen auf die Armlehnen der Vordersitze und dann Bein hoch! Applaus! Und am Ende sagte der nette Camper, jetzt habe er auch einen Tipp für mich und zeigte auf das Buch, das vor ihm auf dem Klapptisch lag. Es war eines meiner Lieblingsbücher, »Vom Ende der Einsamkeit«.

Kurz schauten wir einander ins Gesicht. Menschen, mit denen man Lieblingsbücher teilt, möchte man kennenlernen, so geht es mir zumindest. Außerdem rührte es mich, dass er mir eine innere Reise schenken wollte im Gegenzug zu den Bildern einer gelungenen Wohnmobilreise, die ich ihm geben wollte.

Doch um 12 Uhr mussten wir unseren Platz verlassen haben, der für ein paar weißweingeschwängerte Tage unser Zuhause geworden war, und so blieb keine Zeit mehr für Worte, eine abgebrochene Begegnung ohne Chance auf Fortsetzung. Wer reist, lässt andere zurück.

Den ersten Weißwein, den mein Mann wieder allein trank, war jener auf der Rückfahrt, als wir uns nach Hunderten von Kilometern müde ein Plätzchen suchten und mich plötzlich die Angst überkam, hatte ich doch schon von nächtlichen Überfällen an französischen Autobahnen gelesen. Zur Beruhigung meiner Nerven holte mein Mann die Verzurrgurte aus der Heckgarage und spannte sie fest zwischen die beiden Türen des Cockpits und einen weiteren Gurt zwischen den Griff der Seitentür und der Verankerung des Tischs.

Dann ließ er sein Hubbett herunter und macht es sich mit einem Brett vor dem Kopf gemütlich. Ich weiß, wie sehr er dieses abendliche Ritual im Wohnmobil liebt: endlich Ruhe, endlich einen Sitzplatz. Sonst bleibt ihm meist nur der Notsitz im Gang. Verzurrt und bewaffnet genoss er seine Weinprobe im Plastikglas, die Beine auf dem zweiten Vordersitz gebettet, das Schnitzmesser vor ihm auf dem Wohnmobiltisch, bereit für Heldentaten. Nur das rotweiße Tuch, das eigentlich dem Murmeltier unserer Tochter gehörte und das jetzt sein Messer zierte, hübsch geknotet über der Lederummantelung, wirkte ein bisschen niedlich. Das würden vermutlich auch nächtliche Angreifer so sehen.

Ich aber kroch gebückt weg, fort von meinem Bodyguard, unter seinem Hubbett hindurch nach hinten, wo unsere Tochter schon neben dem Murmeltier schnarchte. Wusste ich doch, dass der Abendweißwein bei mir eher zu Kopfschmerzen führt. Und im Kriechgang war sie wieder da, die Frage: Würde ich wollen, dass das immer so weitergeht?

Immerhin entdeckte ich am nächsten Morgen eine halb leere Kekspackung, ihr Anblick erleichterte mich, in doppelter Hinsicht: Die Wertsachen waren da, die Schokokekse weg. Der Appetit war also zurückgekehrt – das war noch derselbe Mann im Wohnmobil, den ich geheiratet hatte.

Für mich kam die Entspannung erst am übernächsten Morgen, als ich auf unserem Lieblingsstellplatz im Schwarzwald aufwachte. Steif gefroren zwar, weil die Gasflasche zu Ende ging, doch umso mehr genoss ich es, von der Sonne aufgetaut zu werden wie das letzte französische Baguette aus unserem Eisfach.

Es war ein herrlicher Zustand, kein Wollen mehr, kein Sollen, nur liegen. Mit dem Gesicht im Licht, die Füße unter der Bettdecke, die Fensterklappe geöffnet, draußen Schwarzwaldluft, drinnen Kaffeeduft, noch nicht zu Hause und doch nicht fremd, schwerelos in 4,2 Tonnen. Mein Mann streckte von draußen die Hand durch das geöffnete Fenster, und ich nahm sie, blinzelnd, und seufzte: »So geht´s!«

»Hallo, Hause!«, sagte die Mini-Camperin, als wir den Motor abstellten, und rannte barfuß zur Eingangstür, während wir das Monster rückwärts einparkten.

Ich mag auch dieses Bild, auch wenn es nicht schwindelerregend ist, sondern beruhigend: Am Heck läuft das Stromkabel zur Steckdose auf der Terrasse. Es ist die Nabelschnur, die das Wohnmobil mit dem Zuhause verbindet und die Batterie speist. Die Schnauze aber weist nach vorn, Richtung Straße. Wir sind, so könnte man sagen, beheimatet und abfahrbereit. Bis wir irgendwann nach links abbiegen müssen.

2024-04-28T04:22:00Z dg43tfdfdgfd